Systemische Therapie ist für die meisten Menschen ein schwer verständliches Begriffspaar. Wir Therapeuten benutzen es oft ganz selbstverständlich und übersehen mitunter, dass es überhaupt nicht selbstverständlich ist, was damit gemeint sein soll. Nachfolgend habe ich deshalb aus unterschiedlichen Quellen der Deutschen Gesellschaft für Familientherapie (DGSF) Informationen zusammengestellt, die es Ihnen erleichtern sollen zu verstehen, worum es bei diesem therapeutischen Ansatz geht.
Die Systemische Therapie hat sich international als Psychotherapieverfahren etabliert und zählt in der ambulanten und stationären Psychotherapie sowie in der Rehabilitation und in der Prävention weltweit zu den am weitesten verbreiteten Behandlungsverfahren. Sie wurde im Dezember 2008 auch in Deutschland vom Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie (WBP) als wissenschaftlich anerkanntes Psychotherapieverfahren sowohl für die Psychotherapie Erwachsener als auch für die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie eingestuft. Sie ist allerdings weiterhin in Deutschland kein sogenanntes Richtlinienverfahren und wird deshalb von den gesetzlichen Krankenversicherungen in der ambulanten Versorgung nicht bezahlt.
Wirksamkeit von Systemischer Therapie
Systemische Therapie ist ein wirksames und kostengünstiges Psychotherapieverfahren mit hoher Kundenzufriedenheit und sehr guten Langzeiteffekten.
Die Wirksamkeit für Störungen im Kindes- und Jugendalter ist durch Forschungsstudien (vor allem aus den USA) sehr gut belegt, insbesondere für die so genannten „schweren“ Störungen wie:
- Störungen des Sozialverhaltens und jugendliche Delinquenz
- Drogenkonsumstörungen
- Essstörungen
- Anpassung an bzw. Bewältigung von somatischen Krankheiten
Die Wirksamkeit bei Störungen im Erwachsenenalter ist ebenfalls gut belegt vor allem für die Bereiche:
- Substanzstörungen
- Depression
- Essstörungen
- Psychische Störungen bei somatischen Krankheiten
- Schizophrenie
Kundenzufriedenheit: Die vorliegenden Studien belegen eine hohe Zufriedenheit der Klientinnen und Klienten mit ihrer Therapie.
Langzeitwirkung: Die Systemische Therapie erzielt „positive Schläfereffekte“. Das heißt: Vor allem bei Kontrolluntersuchungen 1, 2 oder 4 Jahre nach Abschluss der Therapie zeigt die Systemische Therapie bessere Ergebnisse als konkurrierende Verfahren.
Kosten: Die Systemische Therapie ist ein besonders kostengünstiges Therapieverfahren, da sie mit vergleichsweise wenigen Sitzungen in längeren Abständen sehr gute Ergebnisse erzielt.
Quelle: http://www.dgsf.org/presse/kurzinfo-systemische-therapie
Familienberatung – Systemische Beratung
Beratung ist im internationalen Kontext ein eigenes Konzept der Hilfeleistung für Menschen. Als „Counseling” ist Beratung entweder dem „Mikrosystem” Familie zugewandt oder den „Mesosystemen” Beruf/Arbeit/Nichtarbeit, Freizeit, Bildung etc. und schließt dann auch Supervision und Coaching mit ein.
Beratung von Mikrosystemen wie Familie, Ersatzfamilien oder von „existentiell bedeutsamen Beziehungssystemen” (die alle vom Problem mit betroffenen, ihm nahe stehenden und an seiner Lösung interessierten Menschen umfassen) wird eher als psychosoziale Beratung charakterisiert. Die Lösung psychosozialer Probleme ist primärer Gegenstand der Familienberatung / Systemfischen Beratung. Sie ist eng mit der Geschichte und Entwicklung der Familientherapie verknüpft. Sie grenzt sich im Hinblick auf die Gegenstandsbestimmung wesentlich von der Familientherapie als Psychotherapieverfahren ab, nutzt aber die Elemente des systemischen Diagnostizierens, das systemische Interventionsrepertoire, die komplexe Ziel- und Auftragsklärung, die Ressourcen des Kontextes u. a. m.
Systemische Beratung bezieht sich auf die Grundlagen der Systemtheorie und erklärt das Verhalten von Menschen nicht isoliert aus deren inneren Eigenschaften heraus, sondern aus ihren Beziehungen untereinander und zu ihrer Systemumwelt. Familienberatung / Systemische Beratung zielt – genau wie die Familientherapie – ab auf die Erweiterung von Wahrnehmungs- und Handlungsmöglichkeiten. Familienberatung / Systemische Beratung ist aufmerksam für den Kontext der Ratsuchenden, sie achtet deren Ressourcen und Autonomie. Sie pflegt einen respektvollen Dialog mit dem beraterischen Gegenüber.
Eine genaue Differenzierung von Familientherapie und Familienberatung ist in der Fachwelt umstritten, da Experten der Familientherapie ihr Tun im umfassenden Sinne als Beratung verstehen und weil in Kontexten der Familienberatung immer wieder auf therapeutische und heilende Faktoren hingewiesen wird. Der „zeitliche Korridor” von Beratung ist allerdings anders als in der Therapie; in kritischen Lebensumständen sollen in der Beratung kurzzeitige handlungs- und alltagsbewältigende Lösungen gefunden werden. Aus systemischer Sicht ist es ein zentraler Punkt, wie sich die Differenzierung von Beratung und Therapie auf dem Hintergrund der Ziele der Ratsuchenden entwickeln und wie diese die helfende Beziehung selbst definieren. Beratungsfachleute glauben, dass auch die Problemtiefe ein unterscheidender Indikator zwischen Beratung und Therapie sein könnte. Möglicherweise braucht der/die Berater/in eine noch schnellere und konsequentere Entschiedenheit in Diagnostik und Hypothesenbildung.
Beratung wird sich als eigenständige Disziplin weiterentwickeln, sie wird sich an unterschiedlichsten gesetzlichen Rahmenbedingungen orientieren und als eigenständige Disziplin Wege der Akademisierung gehen.
(Renate Zwicker-Pelzer / DGSF 2008)
http://www.dgsf.org/themen/was-heisst-systemisch/familienberatung-systemische-beratung
Familientherapie – Systemische Therapie
Anders als bei anderen Therapieformen gibt es keine “Mutter” und keinen “Vater” der Familientherapie. Familientherapie gleicht einem Strom, zu dem von Anfang an eine Reihe innovativer ForscherInnen und TherapeutInnen beigetragen haben, teils ganz unabhängig voneinander, teils im Austausch miteinander.
Die Bewegung entwickelte sich in den fünfziger Jahren in den USA und in den sechziger Jahren in Europa, hier besonders in Deutschland und in Italien. Eine der zentralen Feststellungen war, dass auffälliges, “verrücktes” Verhalten keineswegs nur als Ausdruck innerseelischer Konflikte verstehbar ist, sondern als eine passende Reaktion im Zusammenhang mit den Umweltbedingungen, beispielsweise mit der Familienstruktur. Der therapeutische Blick erweiterte sich vom Individuum auf die Beziehung, die Zweierbeziehung, die Familie und größere Bezugssysteme. In den USA waren u. a. Gregory Bateson, Paul Watzlawick, Virginia Satir und Salvador Minuchin Wegbereiter, in Deutschland Horst-Eberhard Richter und Helm Stierlin und in Italien Mara Selvini Palazolli.
In der Familientherapie / Systemischen Therapie werden Probleme nicht als Eigenschaften einzelner Personen gesehen. Sie sind Ausdruck der aktuellen Kommunikations- und Beziehungsbedingungen in einem System. Symptome erscheinen auch nützlich, da sie auf Störungen der Entwicklungsmöglichkeiten hinweisen.
Familientherapie / Systemische Therapie ist eine Form der Therapie, die Gesundheit und Krankheit, insgesamt die Lebensqualität von Menschen im Zusammenhang mit ihren relevanten Beziehungen und Lebenskonzepten sieht. Dabei erweiterte sich in den letzten Jahren der Blickwinkel von der Familie auf die sie umgebenden Systeme wie Arbeitsfeld und Wohnwelt und auch auf die Kontexte, in denen Therapie und Beratung stattfindet.
Ziel der Therapie ist eine Erweiterung der Wahrnehmungs- und Handlungsmöglichkeiten des/der Einzelnen und des Gesamtfamiliensystems. FamilientherapeutInnen arbeiten ressourcenorientiert. Der Therapeut / die Therapeutin versucht, die bisherigen Muster und Vorannahmen in Frage zu stellen und regt andere Sichtweisen an, um neue Interpretationsvarianten und Interaktionsregeln zu ermöglichen. Dabei nutzt sie/er besondere Gesprächstechniken, beispielsweise das Umdeuten als die Kunst, etwas “in einen anderen Rahmen zu stellen”, oder zirkuläre Fragen, durch die Menschen angeregt werden, ihre eigenen handlungsleitenden Annahmen über Beziehungen und ihre Einschätzungen der Motive und Prämissen der anderen auszusprechen und damit zur Diskussion zu stellen. Um Beziehungen erfahrbar zu machen, kann der Therapeut / die Therapeutin die Familien auffordern, sich in einer Skulptur darzustellen. Wahrnehmungen und Bewertungen können auch verändert werden durch den Gebrauch von Bildern und Metaphern.
Die TherapeutInnen sehen sich nicht als die Experten, die die Diagnose stellen und die Lösung vorgeben. Sie führen vielmehr einen neugierigen und respektvollen Dialog mit ihren KlientInnen, einem Einzelnen, einem Paar oder einer Familie, um sie darin zu unterstützen, Blockaden in ihrer Entwicklungsdynamik aufzulösen und neue Perspektiven und befriedigendere Muster des Zusammenlebens zu entwickeln.
(Anne Valler-Lichtenberg / DGSF)
http://www.dgsf.org/themen/was-heisst-systemisch/familientherapie-systemische_therapie.html
Systemische Einzeltherapie
Durch die traditionsgeprägte Bezeichnung Familientherapie blieb lange verborgen, welche vielfältigen methodischen Zugänge der systemische Ansatz für die Arbeit mit einzelnen Klienten bereithält. In zentraler Weise geht es in der Einzeltherapie darum, den Klienten und vor allem sein “Problemverhalten” (die gezeigten Symptome) im Kontext seiner Beziehungen und seiner Umgebung zu verstehen. Probleme oder Symptome sind daher als Ausdruck von Kommunikation und Interaktion mit “relevanten Umwelten” zu sehen und beinhalten neben leidvoll beschriebenen Anteilen auch Lösungsversuche für ganz bestimmte Ziele. Zentrale systemische Arbeitsweisen haben sich daher auch im Einzelsetting bewährt: Auftragsklärung, Kontextualisierung, zirkuläres Fragen, Ressourcenorientierung, hypothetische ziel- und lösungsorientierte Fragen und abschließende kleinschrittige Zielvereinbarungen innerhalb eines wertschätzenden Feedbacks.
Die Haltung hinter einer solchen Methodik bezeugt, dass die Klienten sehr wohl in ihrem Erfahrungsspektrum schon über die Ressourcen verfügen, welche für eine gewünschte Veränderung benötigt werden. Die Aufgabe des Therapeuten ist es, diese Erfahrungen zu Tage zu fördern und sie für aktuelle Veränderungswünsche zu nutzen.
Da Familie, Freunde, Nachbarn oder Kollegen (soziale Systeme) des Klienten im Gespräch nicht anwesend sind, ist es Aufgabe des Therapeuten, diese Bindungen und kommunikativen Bezüge sichtbar zu machen. Dazu müssen einige neue Akzente gesetzt werden, die sich inzwischen in einer Vielzahl von Methoden spiegeln. Durch zirkuläre Fragetechniken kann die Beteiligung anderer an Beziehungsmustern umfangreich dargestellt werden. Ergänzend können Kissen belegt oder leere Stühle aufgestellt werden. Weitere Möglichkeiten eröffnet die Genogrammarbeit oder die Nutzung von Figuren als Skulptur (wie z.B. auf dem Familienbrett). Trotz der Relativierung der Zweierbeziehung zwischen KlientIn und TherapeutIn durch die Symbolisation der realen Bezugssysteme der KlientIn kommt ihr im Einzelsetting eine hohe Bedeutung zu.
(Carmen Beilfuß / DGSF)
http://www.dgsf.org/themen/was-heisst-systemisch/systemische_Einzeltherapie_Coaching_Organisationsberatung.htm
Systemische Familientherapie nach Virginia Satir
„Ich glaube daran, dass das größte Geschenk, das ich von jemandem empfangen kann, ist, gesehen, gehört, verstanden und berührt zu werden. Das größte Geschenk, das ich geben kann, ist, den anderen zu sehen, zu hören, zu verstehen und zu berühren.
Wenn dies geschieht, entsteht Beziehung“
Virginia Satir
Die Familientherapeutin Virginia Satir gilt seit den sechziger Jahren als Pionierin der Systemischen Familientherapie. Der liebevolle Umgang mit Ihren KlientInnen stand im Mittelpunkt ihrer international anerkannten Arbeit.
Ihre Grundhaltung drückte sie in den “Fünf Freiheiten” aus, zu denen sie ihren Patienten verhelfen wollte:
Die Freiheit zu sehen und zu hören, was im Moment wirklich da ist,
– anstatt das, was sein sollte, gewesen ist oder erst sein wird.
Die Freiheit, das auszusprechen, was ich wirklich fühle und denke,
– und nicht das, was von mir erwartet wird.
Die Freiheit, zu meinen Gefühlen zu stehen,
– und nicht etwas anderes vorzutäuschen.
Die Freiheit, um das zu bitten, was ich brauche,
– anstatt immer erst auf Erlaubnis zu warten.
Die Freiheit, in eigener Verantwortung Risiken einzugehen,
– anstatt immer nur auf “Nummer sicher zu gehen” und nichts Neues zu wagen.